Potsdam hat gewählt – doch nicht alle sind repräsentiert
Wahlrecht für alle: Ergebnisse der Kampagne „Hier lebe ich, hier wähle ich“
Einen Tag vor der Bundestagswahl 2025 setzte die Initiative WIR WÄHLEN Potsdam mit einer Symbolwahl ein klares Zeichen gegen den Ausschluss von Millionen Menschen aus dem demokratischen Prozess. Sie machte damit auf ein grundlegendes Defizit aufmerksam: das ungenutzte politische Potenzial all jener, die ohne deutschen Pass hier leben, arbeiten und zur Gesellschaft beitragen, aber dennoch von Mitbestimmung ausgeschlossen bleiben. In einer Demokratie, die inklusiv sein möchte, ist dieses Wahlrecht nach Herkunft statt Lebensmittelpunkt nicht mehr zeitgemäß.
Am vergangenen Samstag gaben 151 Potsdamer:innen ohne deutschen Pass in einem der vier Symbolwahllokale ihre Stimme ab. Insgesamt wurden in Potsdam aufgrund des aktuellen Wahlrechts 13 Prozent der Einwohnenden über 18 Jahre von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Die Ergebnisse wurden heute von Fereshta Hussain, Mitorganisatorin und Vorsitzende des Migrantenbeirats der Stadt Potsdam, an Oberbürgermeister Mike Schubert und Integrationsbeauftrage Dr. Amanda Palenberg überreicht.
Symbolwahl-Ergebnisse
Bei der Symbolwahl am 22.02.2025 verteilten sich die abgegebenen Erst- und Zweitstimmen wie folgt:
SPD: 58,39 % (Olaf Scholz: 54,97 %)
DIE LINKE: 19,46 % (Isabelle Vandre: 19,21 %)
GRÜNE: 14,09 % (Annalena Baerbock: 17,88 %)
CDU: 2,01 % (Tabea Gutschmidt: 1,99 %)
AfD: 1,99 % (Alexander Tassis: 2,68 %)
Sonstige: FDP: 1,34% (Linda Teuteberg: 1,99%), Volt 0,00 % (Benjamin Körner: B 1,32%)
Bei der Symbolwahl am 22.02.2025 gewann die SPD in Potsdam mit 58,39 % der Stimmen – . Insgesamt wurden 151 gültige Erststimmen abgegeben. Ebenso wurden 149 gültige Zweitstimmen abgegeben..

Migrationspolitik und Wahlrecht – eine demokratische Lücke
Die Bundestagswahl 2025 steht im Zeichen hitziger Debatten über Migration – doch ein zentrales Thema bleibt weitgehend unbeachtet: das Wahlrecht für Millionen von Menschen ohne deutschen Pass. Trotz wachsender gesellschaftlicher Vielfalt bleibt eine große Bevölkerungsgruppe dauerhaft von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen.
Die problemfokussierte Diskussion um Asyl und Migration in Deutschland zeigt deutlich, dass politische Parteien die Gruppe der Menschen mit Migrations- bzw. Asylbiographie nicht als relevante Wählendenschaft wahrnehmen. Mit der Symbolwahl haben Angehörige dieser Gruppe ein deutliches Zeichen dafür gesetzt, dass ihnen Themen wie Bildung und Wohnung, Umwelt, die Zuwanderungs- und Transformationsgesellschaft, soziale Gerechtigkeit und Antirassismus und Antidiskriminierung sehr am Herzen liegen. Dabei lassen sie sich nicht durch Schuldzuweisungen für strukturelle Probleme ablenken. Aber ihre Interessen und Anliegen werden systematisch übergangen. Eine Demokratie, die Millionen von Menschen von politischen Entscheidungen ausschließt, ist unvollständig.
Symbolwahl als politisches Signal
Migration ist längst gelebte Realität, doch das Wahlrecht bleibt vielerorts ein exklusives Privileg der Staatsangehörigkeit – ein Anachronismus in einer modernen Demokratie. Mit der Symbolwahl wollen wir sichtbar machen, dasspolitische Teilhabe nicht vom Pass abhängen darf. Eine wirklich demokratische Gesellschaft muss alle Menschen einbeziehen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind.
In den vier Wahllokalen am Hauptbahnhof, auf dem Platz der Einheit, in der Röhrenstraße am Stern und in der Gutenbergstraße in der Innenstadt konnten sich auch Wahlberechtigte zum Thema informieren und zur Frage äußern, ob sie ein Wahlrecht für alle befürworten.
In mehr als der Hälfte der Mitgliedsstaaten der EU und in über 50 Demokratien weltweit haben sogenannte non-citizens bereits das Recht, auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene zu wählen. Deutschland bleibt in dieser Hinsicht seit über 20 Jahren hinter den Empfehlungen des europäischen Parlaments zum Wahlrecht für Drittstaatsangehörige zurück, denn bereits 2003 erachtete es das Europäische Parlament „als erforderlich, … den Ausländern, die sich seit langer Zeit (drei Jahren) rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten und Staatsangehörige von Drittländern sind, das aktive und passive Wahlrecht für die Kommunalwahl sowie für die Wahlen zum Europäischen Parlament einzuräumen.“1
Die Bundestagswahl 2025 zeigt einmal mehr, dass eine umfassende Reform des Wahlrechts notwendig ist, um die politische Repräsentation der gesamten Gesellschaft sicherzustellen. Für eine Anpassung des deutschen Wahlrechts setzen sich die Initiator:innen von Wir Wählen Potsdam ein, darunter der Migrantenbeirat der Stadt Potsdam, die Pan-African Women’s Empowerment and Liberation Organization Masoso (PAWLO-Masoso), Seebrücke Potsdam, Inwole e.V. Projekthaus Potsdam sowie engagierte Einzelpersonen.
Die Forderung bleibt klar: Eine starke Demokratie muss alle einschließen – das Wahlrecht für alle ist überfällig.
Potsdam, den 27. Februar 2025
WIR WÄHLEN Potsdam
- PAWLO-Masoso e.V.
- INWOLE e.V.
- Seebrücke Potsdam
- Migrantenbeirat der Stadt Potsdam
- Einzelpersonen
Quellen:
1 Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2002) (2002/2013(INI)) (angenommen am 4.09.2003)